Maas, Le Drian, ein Briefwechsel mit Lawrow und die Wahrheit
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- Kategorie: Hessen
- Veröffentlicht am Dienstag, 30. November 2021 14:01
- Geschrieben von LO Hessen
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von Dagmar Henn, übernommen via RT Deutsch am 19. November 2021
(Dieser Artikel entspicht nicht der Position der gesamten Partei. Die KPD LO Hessen möchte mit der Veröffentlichung dieses Artikels die Diskussion befördern.)
Vor wenigen Wochen wurde – auch vom Außenminister Heiko Maas – laut verkündet, wie wichtig doch mal wieder ein Treffen im Normandie-Format (Russland, Deutschland, Frankreich, Ukraine) wäre, um einer Lösung im Donbass näherzukommen.
Nachdem dieser Wunsch geäußert worden war, schrieb der russische Außenminister am 29. Oktober eine Antwort. "Ich glaube, dass unser mögliches Treffen, über das jetzt viel gesprochen wird, gut vorbereitet werden sollte, einschließlich der vorherigen Ausarbeitung einer detaillierten gemeinsamen Abschlusserklärung mit spezifischen Empfehlungen an die Ukraine und bestimmte Gebiete der Regionen Donezk und Lugansk als Konfliktparteien." Angehängt war ein Entwurf für eine gemeinsame Abschlusserklärung.
Ein Absatz dieses Entwurfs lautet: "Wir bekräftigen, dass die Minsker Vereinbarungen die einzige und unersetzliche Grundlage für eine friedliche politische und umfassende Beilegung des Konflikts in der Ukraine darstellen, und wir unterstützen die baldmöglichste Aufnahme eines direkten Dialogs zwischen Kiew, Donezk und Luhansk zu diesem Zweck." Im Weiteren wird auf die Verabschiedung des Sonderstatus von Donezk und Lugansk gedrängt, es werden aber auch diverse ukrainische Gesetze und Gesetzentwürfe kritisiert, die die Rechte von Minderheiten eliminieren oder die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen unmöglich machen würden.
Ehe wir einen Blick auf die Antwort der beiden Außenminister Deutschlands und Frankreichs werfen, sollte man in Erinnerung rufen, was die Minsker Vereinbarungen sind und wie sie zustande kamen.
Nach dem Putsch in der Ukraine im Februar 2014 kam es im Donbass in der Ostukraine zu massiven Protesten, gegen die die Kiewer Putschisten immer gewaltsamer vorgingen. Das führte erst zur Besetzung von Verwaltungsgebäuden in Donezk und Lugansk, dann zu einem Referendum in diesen Bezirken, worauf Kiew mit dem Einsatz von Militär antwortete. Ende Mai 2014 war durch den Einsatz der ukrainischen Luftwaffe am Flughafen von Donezk die Auseinandersetzung endgültig zum Bürgerkrieg eskaliert.
In zwei Anläufen versuchte die ukrainische Armee, den Donbass einzunehmen. Beide Anläufe, im Sommer 2014 wie im Februar 2015, endeten für sie mit einer Niederlage. Die erste Minsker Vereinbarung, das sogenannte Protokoll von Minsk (oder Minsk I), wurde im Herbst 2014 geschlossen und sah bereits neben dem Abzug schwerer Waffen von der Kontaktlinie eine Änderung der ukrainischen Verfassung mit der Einführung eines Autonomiestatus für Donezk und Lugansk vor; die Kiewer Führung der Ukraine kam diesen Vorgaben nie nach. Die zweite Vereinbarung Minsk II, das sogenannte Minsker Abkommen, wurde nach der militärischen Niederlage im Frühjahr 2015 unterzeichnet. Sie haben, wie auch die ersten Vereinbarungen, einen militärischen und einen politischen Teil, da das Ziel darin bestand, den Konflikt nicht nur einzufrieren, sondern tatsächlich zu lösen.
Der Text der zweiten Minsker Vereinbarungen wird seit Jahren in den deutschen Medien falsch dargestellt, obwohl er z.B. bei der britischen Financial Times schnell zu finden ist. Die politischen Schritte sollen danach in einer klaren Reihenfolge stattfinden:
1. Verabschiedung einer mit den Donbass-Vertretern abgesprochenen Verfassungsänderung in der Ukraine sowie einer Amnestie.
2. Wahlen im Donbass, nach einer mit den Donbass-Vertretern abgesprochenen Änderung des ukrainischen Wahlgesetzes.
3. Übergang der Kontrolle über die Grenze zu Russland an die dann legitimen Behörden.
Letzteres bedeutet logischerweise, da die Rechtsänderungen mit Zustimmung des Donbass erfolgen müssen, dass diese Grenze dann formell von der Ukraine, faktisch aber vom Donbass kontrolliert würde – schlicht deswegen, weil kein Vertreter des Donbass so dumm wäre, die seit 2014/15 für viele Menschen dort lebenswichtige Fluchtroute nach Russland abzuschneiden.
Den Rechtsstatus der Minsker Vereinbarungen muss man genauer betrachten. Abgeschlossen wurden sie zwischen zwei Vertragsparteien: der Kiewer Regierung und den beiden Donbass-Republiken. Zusätzlich bezeugten drei Staaten die Vereinbarung: Russland, Frankreich und Deutschland. Das bedeutet gleichzeitig, dass sie damit eine Verpflichtung übernahmen, für die Umsetzung dieser Vereinbarung zu sorgen.
Entgegen der üblichen Darstellung hierzulande, in der stetig behauptet wird, Russland müsse endlich die Minsker Vereinbarungen umsetzen (eine Vorhaltung, auf deren Grundlage sogar Sanktionen verhängt wurden), gibt es keinen Unterschied zwischen der russischen, deutschen und französischen Verantwortung.
Diese Vereinbarungen haben allerdings mittlerweile den Status geltenden internationalen Rechts, da die Minsker Vereinbarungen vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet wurden. Das bedeutet, weder die zwei Vertragsparteien noch die drei Garanten noch alle fünf zusammen können diese Vereinbarungen ändern; das könnte nur noch der UN-Sicherheitsrat.
Soviel vorab, ehe wir zu der Verbalnote kommen, mit der Maas und Le Drian auf Lawrows Schreiben reagiert haben. Sie erklären nämlich, der Entwurf enthielte "Maßnahmen, die sicher bei den Normandie-Staaten keine Akzeptanz finden werden, unter anderem die 'Einrichtung eines direkten Dialogs zwischen Kiew, Donezk und Lugansk'."
Exakt dieser direkte Dialog ist jedoch eine Vorgabe der Minsker Vereinbarungen, und zwar nicht irgendeine, sondern die Voraussetzung für jegliche politische Lösung. Das ist auch nicht ungewöhnlich, sondern eigentlich das Standardvorgehen bei Friedensverhandlungen – die Vermittler sind nur bis zu einem bestimmten Punkt zuständig, aber die wirklichen Verhandlungen müssen immer zwischen den beteiligten Parteien stattfinden. Und auch diese Konsequenz ist klar: wenn eine der beteiligten Parteien das direkte Gespräch ablehnt, werden Vermittlungsbemühungen irgendwann unsinnig.
Seit sechs Jahren lehnt jede Regierung in Kiew direkte Verhandlungen mit den östlichen Landesteilen ab. Allein dadurch ist schon deutlich, wer Interesse an einer politischen Lösung hat und wer nicht. Ginge es um einen Konflikt, bei dem keine geopolitischen Interessen berührt werden und mit dem keiner der EU-Staaten irgendetwas zu tun hat, würde das auch offen so gesagt werden.
Aber "man" hat Interessen in der Ukraine und hält daher die schützende Hand über Kiew – in Paris und in Berlin. Deshalb erklärt man, die Normandie-Staaten sähen das anders, wobei klar ist, dass Kiew – sollten Paris und Berlin plötzlich das Lesen entdecken und feststellen, dass in den Vereinbarungen doch von direkten Verhandlungen die Rede ist – gar keine andere Wahl hätte, als seine Position ebenfalls zu ändern. Schließlich hängt die Kiewer Kleptokratie am westlichen Tropf.
Noch einmal, die Minsker Vereinbarungen sind geltendes internationales Recht, das auch Deutschland, Frankreich und die Ukraine zusammen nicht ändern können. Daher verlegen sie sich seit Jahren darauf, den Inhalt zu verfälschen und die Umsetzung hinauszuzögern. Denn der Text der Vereinbarung beinhaltet auch Daten. So sollte die geforderte Verfassungsänderung in der Ukraine bereits Ende 2015 erfolgt sein, was aber bis heute nicht passiert ist. Aber Russland wurde sanktioniert, weil es die Minsker Vereinbarungen nicht umsetzt.
Der Erklärungsentwurf, den Le Drian und Maas an Lawrow schickten, verschiebt sämtliche Gespräche über die politischen Punkte der Minsker Vereinbarungen in das Normandie-Format, in dem die Donbass-Republiken nicht vertreten sind. Dabei sind es die westlichen Staaten, die versuchen, Russland in die Rolle zu drängen, an Stelle der Donbass-Republiken zu sprechen, weil es ungeheuer praktisch wäre, um dann darauf beruhend zu behaupten, es handle sich um einen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Für diesen propagandistischen Vorteil übergehen sie die Tatsache, dass – selbst wenn Russland bereit wäre, dies zu tun – das Ergebnis nicht dem Völkerrecht entspräche, weil die Minsker Vereinbarungen eine andere Vorgabe machen und rechtlich über allem stehen, was im Normandie-Format vereinbart werden könnte.
Am 6. November schickte Lawrow seine Erwiderung an Le Drian und Maas. Er buchstabierte den beiden die Sachlage noch einmal, mit fast unfassbarer Geduld: "In diesem Zusammenhang möchte ich Sie noch einmal daran erinnern, dass die Voraussetzungen für eine Einigung mit Donezk und Luhansk über das gesamte Spektrum der Fragen im Zusammenhang mit dem Sonderstatus dieser Gebiete, der Verfassungsreform in der Ukraine (mit der Dezentralisierung als Schlüsselelement) und der Vorbereitung von Kommunalwahlen direkt in den Absätzen 9, 11 und 12 des Minsker Maßnahmenpakets aufgeführt sind. (…) Ihre Erklärung über die Ablehnung eines direkten Dialogs zwischen Kiew, Donezk und Lugansk diskreditiert daher die Mitautorenschaft der deutschen und französischen Staats- und Regierungschefs an dem Dokument vom 12. Februar 2015."
Und er ruft ihnen den rechtlichen Status der Minsker Vereinbarungen ins Gedächtnis: "Da Sie sich auf das Gesetz berufen, möchte ich Sie daran erinnern, dass dieses Maßnahmenpaket vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurde und den Status eines rechtsverbindlichen Dokuments erhalten hat. Ihre kategorische Aussage, dass ein direkter Dialog inakzeptabel sei, könnte (ich will es nicht glauben) bedeuten, dass Sie mit der Vorlage einer solchen Agenda die Minsker Vereinbarungen umschreiben wollen."
"Eine eindeutige Bekräftigung des Wortlauts des genannten Dokuments ist unerlässlich, um die künstlichen Hindernisse zu überwinden, die auf dem Weg dorthin errichtet wurden. Es gibt darin keine Unklarheiten, alles ist schwarz auf weiß geschrieben, vor allem das Erfordernis des direkten Dialogs zwischen den im Text genannten Parteien."
Die Antwort auf dieses Schreiben bestand in einer gemeinsamen Erklärung der Außenminister Deutschlands und Frankreichs zur Unterstützung der Ukraine am 15. November. Beim Lesen dieser Erklärung weiß man nicht mehr, ob man weinen oder lachen soll, so wirklichkeitsfern ist sie. Ein Satz wie "bereits im Frühjahr 2021 hat die Ukraine erheblich zur Deeskalation der Lage beigetragen" kann jedem, der von den direkten Angriffsvorbereitungen im Donbass und dem entsprechend verstärkten Beschuss im Frühjahr weiß, nur die Sprache verschlagen.
Vollends im Reich der Märchen finden wir uns bei dieser Aussage wieder: "Wir haben die Ukraine aufgefordert, die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen fortzusetzen." In mehr als sechs Jahren hat selbst die OSZE-Beobachtermission oft genug festgestellt, dass wieder schwere Waffen zur Kontaktlinie bewegt wurden (da schreibt sie dann ganz diplomatisch, sie seien aus den Lagern verschwunden), bis heute also nicht einmal der militärische Teil eingehalten wird. Gleiches gilt für die Entwaffnung der nationalistischen Bataillone oder deren komplette Unterordnung unter die ukrainische Armee. Den politischen Teil der Minsker Vereinbarungen blockiert Kiew bis heute vollständig.
Aber: "Wir bleiben der Lösung des Konflikts auf der Grundlage der Minsker Vereinbarungen verpflichtet." Man möchte sich fast mit einem Lineal in der Hand neben Maas stellen, ihm eine Kopie der Minsker Vereinbarungen auf den Tisch knallen und ihm ins Ohr brüllen: "Laut vorlesen!", und – wenn er fertig ist – noch ein: "Also, was steht da, Heiko?" hinterherbrüllen.
Der Gipfel zwischen Dreistigkeit und Wahn ist dann mit dem Satz erreicht: "Wir bedauern, dass Russland sich wiederholt einem Treffen auf der Ebene der Außenminister im Normandie-Format verweigert hat." Nun, es ergibt wenig Sinn, sich mit jemandem zu treffen, um die Umsetzung eines Dokuments zu besprechen, welches dieser nicht lesen oder verstehen kann oder verstehen will. Aber Russland hat sich niemals verweigert, das belegt der Briefwechsel.
Die Folge dieser Erklärung war dann auch die Veröffentlichung der Briefe. Freundlich, wie Lawrow nun einmal ist, hat er sie vorher in einem weiteren Schreiben angekündigt.
"Ich vertraue darauf, dass die Bekanntmachung dieser Primärquellen in der breiten Öffentlichkeit die wahre Rolle und die Absichten Russlands im Friedensprozess verdeutlicht und dazu beiträgt, den politischen Willen – auch in Deutschland und Frankreich – für eine ehrliche Lösung des Konflikts im Donbass auf der soliden Grundlage der Minsker Vereinbarungen zu bilden – ohne den Versuch, weitere Treffen einzuberufen, nur um immer weiter in Richtung Kiew zu gehen, das mit der Unterstützung seiner westlichen Sponsoren einen Kurs eingeschlagen hat, der seine Verpflichtungen unter direkter Verletzung sabotiert."
Nur ganz zum Schluss reißt selbst dem für seine Langmut bekannten russischen Außenminister der Geduldsfaden mit unserem Maasmännchen und seinem französischen Kollegen, und er wird ironisch:
"Ich bin sicher, dass Sie die Notwendigkeit eines solchen unorthodoxen Schrittes verstehen werden, da es darum geht, der internationalen Gemeinschaft die Wahrheit darüber zu vermitteln, wer und wie er die auf höchster Ebene eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllt."