Oft übersehen: Die Frau und die Reproduktion der Arbeitskraft
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- Kategorie: DRF online
- Veröffentlicht am Sonntag, 06. März 2022 12:00
- Geschrieben von estro
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Welche spezifischen Probleme sehen die Befragten in Deutschland und in der Welt heute als besonders bedeutend für Frauen an?
Schauen wir uns die Ipsos Global Advisor-Studie (2019) ani
An der ersten Stelle sehen die Befragten die ungleiche Entlohung von Mann und Frau: in Deutschland denken das 32 % der Umfrage-Teilnehmer, in der Welt 22 %.
An zweiter und dritter Stelle: sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt (BRD 17% und Welt 15%), die sexuelle Gewalt wird weltweit alsdas am schwerwiegendste Problem betrachtet, mit 30 % bzw. 27 %)
Als viertes kommt das Problem „zu wenig Frauen in Führungspositionen“ (BRD 11 %, weltweit 12 %), also besonders beunruhigt sind Arbeiterinnen darüber, ob sie von einer Frau oder einem Mann ausgebeutet werden.
Und erst an fünfterPosition taucht für die Deutschen und auch die Menschen weltweit, das Problem auf, dass Frauen schwer das Gleichgewicht zwischen Lohnarbeit und Betreuungsaufgaben finden können.
Es muss nochmal betont werden: Es geht um eine subjektive Einschätzung, und es wird von der Mehrheit der Bevölkerung überwiegend so eingeschätzt. Man könnte noch schlimmere Probleme nennen, die in der Umfrage nicht erfasst wurden: Prostitution, sexuelle Ausbeutung, Gewalt in der Familie.
Wir drehen aber die Frage um und fragen: WARUM haben Frauen alle diese Probleme?
Als Marxisten sehen wir den Grund in der Arbeitszeit, die Frauen für einen besonderen Zweck aufwenden müssen: Reproduktion der Arbeitskraft. Was bezeichnet Marx mit diesem Begriff?
„Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. Soweit sie Wert, repräsentiert die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Existenz voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln..“.
„Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuierliche sein…so muß der Verkäufer der Arbeitskraft sich verewigen, "wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung". Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständigt ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d.h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.“ii
Hier geht es nicht nur um Lebensmittel als materielle Güter (z. B. Kartoffel) sondern auch um die Arbeitsprozesse, die mit diesem Mittel durchgeführt werden (z. B. kochen). Und diese Prozesse berauben auch Zeit und Kraft, und überwiegend werden sie immer noch von Frauen kostenlos und wie selbstverständlich durchgeführt. Alle diese Prozesse kann man generell als Pflege bezeichnen: Kinder- und Altenpflege, Hauspflege usw., also insgesamt Familienpflege. Es gibt bereits den Beruf der Familienpflegerin, in dem diese Aufgaben gegen Entlohnung durchgeführt werden.
Der soziale Status eines Menschen in dieser Gesellschaft wird vor allem durch sein Einkommen und die Art der Beschäftigung bestimmt. Aber die Familienpflege wird generell als unbezahlte Tätigkeit „für sich selbst“, also nicht mal eine richtige Arbeit, und schon gar nicht als angesehene, wichtige Arbeit betrachtet, das ist nur die „Bedienung“.
Jede Frau, auch wenn sie selbst single und kinderlos ist und keinerlei Familienpflege nachgeht, auch bereits ein Mädchen, wird immer noch unbewusst als jemand angesehen, der eigentlich für diese „Bedienung“, für diese einfache und unbezahlte Arbeit, nebenbei zum Lohnarbeits-Job, bestimmt ist. Damit ist die Frau bereits stigmatisiert, und dadurch entstehen alle Probleme, die aus öffentlicher Sicht wichtig sind: ungleiche Bezahlung, Gewalt, sexuelle Belästigung (man kann nur jemanden belästigen, der niedriger ist, eine Chefin wird in der Regel nicht belästigt).
Kommunisten sehen als Lösung die Vergesellschaftung der Familienpflege, wie Lenin bereits angedeutet hat. Das ist auch die richtige Lösung. Das ist aber leider nicht die ganze Lösung. Wir sehen das Problem: wenn die Kinder- und Altenpflege vergesellschaftet ist, ist das immer noch eine schlecht bezahlte und keineswegs angesehene Lohnarbeit. Und die wird auch wieder überwiegend von Frauen erledigt, nur jetzt auf gesellschaftlicher Ebene, und Frauen werden dann immer noch durch diese „unwichtige Frauenarbeit“ stigmatisiert und sind auch weiterhin weit von Gleichstellung entfernt. Wer während der Coronapandemie das erbärmliche Geschacher um einen lächerlichen Pflegebonus miterlebt hat, weiß sofort was gemeint ist.
Im Kapitalismus ist die Lösung auch ökonomisch nicht möglich: Profite können nur dadurch erzielt werden, daß Arbeiter wenig verdienen und nicht mehr für Kinderpflege im Kindergarten oder für ein Altenheim bezahlen können. In der Altenpflege selbst werden heute Milliardenumsätze und Riesenprofite erzielt, und die sind nur möglich, indem die Arbeitenden in diesem Beruf eher mäßig verdienen. Ansonsten wird die Pflege nicht mehr rentabel.
Man darf aber nicht vergessen: der Mensch verwandelt sich nur in der Ausbeutergesellschaft in die „Ware Arbeitskraft“. In dieser Gesellschaft ist die „Reproduktion der Arbeitskraft“ nur eine weniger wichtige und untergeordnete Funktion der Arbeiter, die Produktion der Waren für die Profitmacherei ist ja angeblich viel wichtiger. In der „Deutschen Ideologie“ beschreiben Marx und Engels die Voraussetzungen der Menschlicher Existenz, die 3 gleichwertigen Seiten der „sozialen Tätigkeit“, eine davon ist die „Produktion der Menschen“, die Familie. Also generell ist die „Produktion der Menschen“ keineswegs der Produktion der Gebrauchsgüter untergeordnet, das sind gleichwertige Seiten menschlicher Existenz, und beiden tragen einen gesellschaftlichen Charakteriii.
Erst mit dem Anfang der Ausbeutung wird diese Seite in den privaten Raum abgeschoben, den Frauen auferlegt, die sie unbemerkt und kostenlos, selbstverständlich erledigen. Erst in einem ausbeuterischen, in unserem Fall der kapitalistischen Gesellschaft ist die Familienpflege so wenig wert, und somit auch die Menschen, die sie erledigen, also Frauen, einen niedrigen sozialen Status bekommen.
Das wird sich im zukünftigen Sozialismus grundsätzlich ändern, aus dialektischer Sicht kommen wir wieder zu der Situation der Urmenschen, aber auf einer neuen Ebene. Die Reproduktion der Menschen und menschlicher Kraft, die Familienpflege wird zu einer der wichtigsten Aufgaben der Gesellschaft. In welcher konkreten Form das umgesetzt wird, können wir im Moment noch nicht wissen, das hängt davon ab, welche Form diese Gesellschaft selbst hat (z. B. ob da die Arbeit noch mit Geld bezahlt wird usw.). Man kann aber sagen, daß diese Wichtigkeit der „Frauensache“ eine wichtige Voraussetzung für den Kommunismus überhaupt darstellt. Und die Vergesellschaftung bedeutet nicht einfach noch ein paar „Pflegefabriken“ bauen, in denen Frauen erwerbstätig werden. Es bedeutet, daß die ganze Reproduktionsarbeit zu einer der wichtigsten Gesellschaftsaufgaben wird.
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iiK.Marx „Kapital“, Kap. 4, Teil 3, Kauf und Verkauf der Arbeitskraft
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iii„Deutsche Ideologie“, MEW Band 3, S. 5 - 530