In die Offensive

Details

Quelle: german-foreign-policy vom 24.01.2014

KIEW/BERLIN Nach der blutigen Eskalation der Proteste in Kiew droht Witali Klitschko, der Favorit Berlins in der Ukraine, mit einer neuen „Offensive“ gegen die Regierung. Diese werde gestartet, sollte Präsident Janukowitsch nicht bis zum gestrigen Abend zurücktreten, hatte Klitschko am Mittwoch angekündigt. Der Rücktritt ist bis zum Ablauf des Ultimatums nicht erfolgt; die Spannungen steigen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sei „in verschiedener Weise“ mit der ukrainischen Opposition „in Kontakt“, teilt Bundeskanzlerin Merkel mit und erhöht den Druck auf die ukrainische Regierung: Diese müsse „die freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlungen“ schützen. Die Gewalteskalation am letzten Wochenende, die der brutalen Polizei- Repression vorausging, wurde von Aktivisten der extremen Rechten initiiert, die von Anfang an an den Protesten des „Euromaidan“ teilnahmen und dort inzwischen Beobachtern zufolge zunehmend auf Akzeptanz stoßen. „Fortschrittliche Aktivisten“ müssten heute in Kiew „an zwei Fronten kämpfen“, heißt es: „gegen ein Regime, das Polizeigewalt unterstützt“, aber auch „gegen extremen Nationalismus“. Anführer der extremen Rechten drohen mittlerweile mit einem Bürgerkrieg.

Die Bundesregierung bezieht Position

Nach der blutigen Eskalation der Proteste in Kiew verstärken Berlin und Brüssel ihren Druck auf die ukrainische Regierung. Auf die anhaltende Blockade der Kiewer Innenstadt hatte die Regierung mit neuen repressiven Gesetzen reagiert, von denen einige – etwa das Vermummungsverbot – auch in Deutschland Anwendung finden. Daraufhin waren die Proteste gewaltsam eskaliert; Demonstranten bewarfen Polizisten mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails, steckten Polizeibusse in Brand und errichteten Barrikaden. Polizisten setzten Waffen ein und feuerten Gummigeschosse in die Menge; mehrere Demonstranten kamen durch Schüsse zu Tode. Die Opposition droht nun mit einer weiteren Gewalteskalation. In dieser Situation wendet sich die Bundesregierung einseitig gegen die ukrainische Regierung. Es gehe darum, „die demokratischen Grundrechte wiederherzustellen“, teilt Kanzlerin Angela Merkel mit. EU-Kommissionspräsident Barroso droht Kiew mit „ernsten Konsequenzen“. Druck auf die Opposition, die Gewaltdrohungen einzustellen, bleibt hingegen aus.[1]

In Kiew heizt insbesondere der Favorit der deutschen Außenpolitik, Witali Klitschko, die Protesteweiter an. Klitschko, der von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zum Oppositionsanführer aufgebaut worden ist [2], hat der Regierung ein „Ultimatum“ gestellt und angekündigt, nach dessen Ablauf am gestrigen Abend „in die Offensive“ gehen zu wollen. Es sei „nicht klar“, worauf das hinauslaufe, hieß es gestern etwa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP); man könne jedoch nicht ausschließen, dass es „Gewalt bedeute“.[3] Klitschko sucht die Eskalation nicht zuletzt zu nutzen, um sich die Führung innerhalb der Opposition zu sichern. Er hat vor einigen Tagen allein mit dem ukrainischen Präsidenten verhandelt, was bei den zwei anderen Anführern der Opposition, mit denen eigentlich ein gemeinsames Vorgehen vereinbart worden war, auf erkennbaren Unmut gestoßen ist. Aus Klitschkos Partei UDAR wird nun die Meinung an die Öffentlichkeit getragen, die Eskalation der Gewalt in den letzten Tagen zeige, dass es für die Demonstranten Zeit sei, „einen einzigen Führer“ zu haben. Diese Rolle stehe Klitschko zu, da seine Rivalen Arsenij Jatzenjuk und Oleh Tjahnybok zu zögerlich operierten.[4]

Erfolg für die Ethno-Nationalisten

Während Klitschko weiter auf Eskalation setzt, werden Warnungen lauter, die von ihm und Berlin befeuerten Proteste schüfen ein nationalistisches Klima, das Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten sei. Bereits zu Jahresbeginn hatte der Ukraine-Experte Andreas Umland festgestellt, bei den aktuellen Protesten seien Slogans und Symbole der ehemaligen ukrainischen NS-Kollaborateure um Stepan Bandera deutlich stärker präsent als etwa bei den Demonstationen von 2004. Einige „Leitmotive“ der NS-Kollaboration seien sogar „charakteristisch für die gesamte Protestbewegung“ geworden – „ein bemerkenswerter Erfolg“ für die „neuen ethno-nationalistischen Bandera-Anhänger“.[5] Dies wird nun von fortschrittlichen Aktivisten bestätigt. Zwar hätten extrem rechte Gruppierungen noch keinen Massenzulauf, wird ein Mitarbeiter der NGO „Center for Social Action“ zitiert. Doch seien sie „für viele aktive Bürger akzeptabler und gewissermaßen mehr Mainstream geworden“. Wie ein weiterer Aktivist urteilt, müssten fortschrittliche Demonstranten „an zwei Fronten kämpfen – gegen ein Regime, das schädliche Polizeigewalt unterstützt“, aber auch „gegen extremen Nationalismus, der auf dem Maidan anerkannt und legitim ist“. Hier fügt sich Klitschko ein: Berichten zufolge hat er den Brauch übernommen, seine Maidan-Reden mit Slogans der Bandera-Tradition einzurahmen.[6]

Die zunehmende Offenheit gegenüber der äußersten Rechten schlägt sich mittlerweile auch in Gewalt nieder. Bereits in einer frühen Phase der Proteste hatten kritische Beobachter festgestellt, dass die Gewalteskalation vom 1. Dezember nicht – wie auch hierzulande behauptet wurde – von bezahlten Provokateuren ausgegangen war, sondern vielmehr von Schlägern, deren Zugehörigkeit zur extremen Rechten sich nicht nur an ihren Armbinden mit Wolfsangel-Symbol erkennen ließ. Einige konnten präzise als Aktivisten bekannter extrem rechter Vereinigungen identifiziert werden, darunter eine Organisation mit dem Namen „Tryzub“ („Dreizack“), die 1993 als paramilitärische Organisation gegründet worden war und zuletzt unter anderem durch Überfälle auf Schwule von sich reden machte. Auf dem Maidan hatten sich Ultrarechte aus verschiedenen organisatorischen Zusammenhängen unter der Bezeichnung „Rechter Sektor“ („Pravyi Sektor“) zusammengetan, um gemeinsam Gewaltaktionen wie diejenige vom 1. Dezember zu planen und durchzuführen. Schon im November hatten sie linke Aktivisten attackiert, ohne dass dies ihr Ansehen gefährdet hätte.[7]

Bereit zu sterben

Die jüngste Gewaltwelle, die von der Polizei mit tödlicher Repression beantwortet wurde, geht ebenso wie diejenige von Anfang Dezember, die sie an Brutalität freilich weit übertrifft, auf den „Rechten Sektor“ zurück. Laut übereinstimmenden Berichten haben sich seine Aktivisten zu den Angriffen mit Steinen, Molotow-Cocktails und selbstgebauten Waffen, darunter Steinschleudern und Pfeil und Bogen, auf die Polizei in Kiew bekannt. Unter den festgenommenen Gewalttätern befand sich unter anderem ein extrem rechter Aktivist, der einst wegen Mordes verurteilt worden war. Dem „Rechten Sektor“ gelingt es offenbar in wachsendem Maße, Regierungsgegner in seine Gewalttaten einzubinden, die sich bisher als unpolitisch eingestuft hatten. Seine Aktivisten geben sich überaus entschlossen. „Ich habe gebeichtet, ich habe die Kommunion erhalten, ich bin jetzt bereit zu sterben“, wird einer von ihnen zitiert.[8]

Guerillakrieg

Rädelsführer des „Rechten Sektors“ drohen inzwischen sogar mit einem Bürgerkrieg. Sollten die ukrainischen Repressionsapparate die Proteste auch weiterhin blutig niederschlagen, „dann, glaube ich, wird es ein Massaker geben“, wird einer von ihnen zitiert: „Ein Guerillakrieg wird in der Ukraine beginnen.“[9] Witali Klitschko hat schon vor einigen Tagen ebenfalls geäußert, er schließe einen Bürgerkrieg nicht aus. Womöglich schwer wiegt, dass die Proteste inzwischen auch in denjenigen Regionen der westlichen Ukraine eskalieren, aus denen ein erheblicher Teil der Demonstranten in Kiew kommt. So sind Berichten zufolge dort mehrere Verwaltungsgebäude besetzt worden, etwa in Lwów, einer Hochburg der extremen Rechten.[10] Dabei profitiert die extreme Rechte von dem Druck, den auch Berlin auf die ukrainische Regierung ausübt, und davon, dass mehrmals auch deutsche Diplomaten mit Funktionären der extrem rechten Partei Swoboda zusammenkamen. Man habe, heißt es bei Swoboda, auch über einen eventuellen Sturz der Regierung gesprochen (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Kommt es zu einem solchen Sturz, wird Swoboda selbstverständlich einen Teil der Macht in Kiew beanspruchen. Berlin hätte in diesem Fall tatkräftig geholfen, eine extrem rechte Partei zumindest in Regierungsnähe zu bringen.

Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden

Siehe hier: Protestbündnis für EuropaProbleme der OstexpansionEin breites antirussisches BündnisTermin beim BotschafterExpansiver EhrgeizZukunftspläne für die Ukraine,Unser Mann in KiewDie militärische Seite der Integration und und Integrationskonkurrenz mit Moskau.

[1] Ukraine droht ein langer Machtkampf. www.n-tv.de 23.01.2014.

[2] S. dazu Der Schlag des Boxers und Unser Mann in Kiew.

[3] „Die Geduld in Kiew ist zu Ende“. www.n-tv.de 23.01.2014.

[4] Demonstranten in Kiew getötet. Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.01.2014.

[5] Andreas Umland: Is Tiahnybok a Patriot? How the Spread of Banderite Slogans and Symbols Undermines UkrainanNationBuilding. www.foreignpolicyjournal.com 01.01.2014. S. dazu Integrationskonkurrenz mit Moskau.

[6] Alec Luhn: The Ukrainian Nationalism at the Heart of ‘Euromaidan’. www.thenation.com 21.01.2014.

[7] Anton Shekhovtsov: Provoking the Euromaidan. www.opendemocracy.net 03.12.2013.

[8] Katya Gorchinskaya, Olga Rudenko: The men behind the masks on EuroMaidan. www.kyivpost.com 21.01.2014.

[9] Claire Bigg, Oleksandr Lashenko: Far-Right Ukrainian Opposition Group Vows ‘Guerilla War’. www.rferl.org 22.01.2014.

[10] S. dazu Zwischen Moskau und Berlin (V).

[11] S. dazu Termin beim Botschafter.

Drucken
   
KPD - Aktuell KPD - Die Rote Fahne KPD - Landesorganisationen (Regional) KPD - Topmeldungen
   
© Kommunistische Partei Deutschlands